Versicherungsbranche im Umbruch - gyselroth™

Digitale Transformation

Die Versicherungsbranche im Umbruch

September 2019

Langjährige, etablierte Versicherer stehen unter Druck: die digitale Transformation und veränderte Kundenbedürfnisse fordern ein radikales Umdenken der traditionellen Geschäftsmodelle. Die Versicherungsbranche wird mit grossen technologischen und strategischen Herausforderungen konfrontiert und kommt damit nur schwer zurecht.

Eine Umfrage unter Teilnehmern des diesjährigen «FT Insurance Innovation Summits» verdeutlicht die Brisanz des Themas: 40% beantworteten die Frage, ob sich ihr Unternehmen an das digitale Zeitalter angepasst habe, mit Nein. Die restlichen 60% der Vertreter aus der Versicherungsbranche gaben an, ihr Unternehmen sei lediglich halbwegs für die veränderte Marktlage aufgrund der Digitalisierung gerüstet. Niemand empfand seine Firma zum jetzigen Zeitpunkt als gut vorbereitet.

Der «Financial Times Insurance Innovation Summit» fand 2019 zum dritten Mal statt. Führungskräfte und Experten aus der Versicherungsbranche diskutierten über die Herausforderungen, denen die Branche angesichts der digitalen Transformation gegenüberstehen.

Mehr Informationen zum Summit

Wie gut hat sich Ihr Unternehmen Ihrer Meinung nach dem digitalen Zeitalter angepasst?

60%: Wir arbeiten an der Transformation

40%: Wir sind noch überhaupt nicht vorbereitet

Der Kundennutzen im Fokus

In nahezu allen Lebensbereichen hinterlässt der Megatrend Digitalisierung seine Spuren. Streamingdienste revolutionieren die Unterhaltungsindustrie, Carsharing und Uber die Autobranche. Die erfolgreichen Geschäftsmodelle von heute stellen den Kunden und sein Bedürfnis nach leicht verständlichen und modernen Angeboten konsequent ins Zentrum. Produkte und Services, die auf die individuelle Lebenssituation zugeschnitten sind, werden in der digitalen Ökonomie von heute erwartet.

Diese Ausgangslage stellt klassische Versicherer vor die Herausforderung, ihre bisherigen Vertriebsstrategien komplett überdenken und neue, innovative Geschäftsmodelle finden zu müssen. Die bestehenden Abläufe zu digitalisieren reicht nicht.

Gerade wegen ihrer unternehmerischen Grösse und Komplexität ist dieser Wandel für etablierte Versicherungsanbieter äusserst anspruchsvoll. Aus technologischer Sicht müssen über Jahre aufgebaute IT-Systeme neu ausgerichtet werden, die kulturellen Hürden sind ebenso schwer zu überwinden. Die bereits erwähnte Umfrage am «FT Insurance Innovation Summit» zeigt, dass der interne Widerstand gegenüber Veränderungen als grösste kulturelle Herausforderung auf dem Weg zur digitalen Transformation empfunden wird.

Welche kulturelle Herausforderung blockiert die Innovationsbestrebungen in Ihrem Unternehmen am meisten?

38%: Widerstand gegenüber Veränderungen

24%: Betriebsgrösse und -komplexität

16%: Fehlende Fachkräfte

16%: Finanzieller Leistungsdruck

7%: Managementwechsel

Disruption aufgrund von InsurTechs

In dieser Hinsicht sind neu auf den Markt kommende InsurTechs klar im Vorteil. Sie konzipieren ihre Geschäftsmodelle von Anfang an digital und kundenorientiert. Innovative Startups entwickeln moderne Produkte und Services wie etwa personalisierte On-Demand-Versicherungen mit mobiler, leicht verständlicher Anwendung. In derartige Ideen wird von verschiedenen Seiten kräftig investiert.

Schlagzeilen machte das Startup Lemonade aus den USA, das mit Investitionsgeldern in der Höhe von 300 Millionen Dollar seine Entwicklung und Expansion in internationale Märkte ausbauen soll.

Das technologiegetriebene Geschäftsmodell von Lemonade setzt auf digitale Hilfsmittel und künstliche Intelligenz. Laut eigenen Angaben wird dem Kunden in Sekundenschnelle eine Versicherungspolice vorgeschlagen, Rückerstattungen im Schadensfall sollen innerhalb von wenigen Minuten erfolgen.

Finanzielle Unterstützung erhält auch das deutsche Startup-Unternehmen Friday. Als InsurTech der Baloise-Versicherungsgruppe setzt es auf internetbasierte Autoversicherungen mit kilometergenauer Abrechnung und monatlicher Kündigungsmöglichkeit. Hierzulande tüftelt das Startup «Lings» der Versicherungsgruppe Generali Schweiz in einer Innovationsgarage an neuen Produkten und Services. Lings bietet On-Demand-Versicherungen für spezifische Gegenstände ohne fixe Vertragsdauer an.

InsurTechs und Versicherer – Partner oder Konkurrenz?

Treffen InsurTechs und etablierte Versicherer aufeinander, stehen sich zwei grundsätzlich verschiedene Mentalitäten gegenüber: das altbewährte Sichere stösst auf das risikofreudige Neue. Vertreter beider Seiten haben unterdessen die Notwendigkeit der gegenseitigen Zusammenarbeit erkannt. Denn während Startups mit Innovationsgeist triumphieren können, haben traditionelle Versicherer einen entscheidenden Vorteil bereits in der Tasche: Kundendaten – das Gold der Digitalisierung.

Die nutzbringende Analyse von Big Data ist für den unternehmerischen Erfolg von zentraler Bedeutung. Durch moderne, automatisierte Datenauswertung im grossen Stil wird ein tieferes Kundenverständnis angestrebt. Die Basis für ein Geschäftsmodell, das den Fokus auf personalisierte Angebote setzt.

«Unsere Fähigkeiten, große Mengen an Daten zu sammeln und diese so zu nutzen, dass wir wirklich werthaltige Angebote zur Erfüllung der Kundenbedürfnisse entwickeln können, [werden] zunehmend an Bedeutung gewinnen. Diese Erkenntnis ist der Motor, der unsere Zukunftsstrategien antreibt.»

Jonathan Larsen, Ping An Chief Innovation Officer
aus: Digital Insurance Agenda

Innovation aus China: die Ping An Insurance

Aufrüttelnde Impulse für die Versicherungsbranche kommen auch von innovativen Unternehmen rund um den Globus. Das Paradebeispiel ist die Ping An Insurance Group aus China, die grösste Versicherungsgesellschaft der Welt und im Jahr 2018 auf Platz 10 der grössten Unternehmen laut der Forbes Global 2000-Liste.

Dreissig Jahre nach seiner Gründung als traditionelle Versicherungsgesellschaft hat Ping An eine fundamentale Veränderung durchgemacht und sich zu einem technologiegetriebenen Konzern entwickelt. Gemäss Jonathan Larsen, Chief Innovation Officer bei Ping An, wurden sämtliche Geschäfte und Prozesse in die Cloud verlagert und im Bereich Forschung und Entwicklung stark investiert. Hinsichtlich intelligenter Technologien und dem Einsatz von künstlicher Intelligenz will Ping An laut eigenen Aussagen eine Pionierrolle einnehmen. Als Beispiel nennt Larsen den automatisierten Prozess im Falle eines Autounfalls: versicherte Personen können den Schaden an ihrem Fahrzeug mit einem Mobiltelefon fotografieren und über eine App melden. Mithilfe von künstlicher Intelligenz und einer Datenbank, in der sämtliche Autoteile von diversen Fahrzeugmodellen gespeichert sind, wird das Ausmass des Schadens in Echtzeit analysiert und dem Versicherten sogleich ein Rückerstattungsangebot gemacht.

Im Bereich der Kundenauthentifizierung setzt Ping An auf die biometrische Gesichtserkennung sowie eine selbst entwickelte Voiceprint-Technologie. Damit werden Millionen von eingehenden Telefonanrufen maschinell verarbeitet und somit die Stimmerkennung möglich gemacht.

Auch wenn die geltenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen in Europa die hier ansässigen Versicherungen in ihrem Handeln einschränken, so sind die Entwicklungen aus China doch mit grosser Spannung zu verfolgen.

Wer nicht mithält geht unter?

Genauso wie andere Wirtschaftszweige muss sich auch das Versicherungswesen aufgrund des Megatrends Digitalisierung neu erfinden. InsurTechs und innovative Unternehmen aus dem Ausland führen zu einer disruptiven Umgestaltung der Branche und fordern ein grundlegendes Umdenken der traditionellen Geschäftsmodelle. In der digitalen Ökonomie von heute erwartet der Kunde moderne Produkte und Services, die seinen individuellen Bedürfnissen gerecht werden. Personalisierung, Einfachheit, Flexibilität und Transparenz stehen im Fokus.

Zwar wird für den Grossteil der zurzeit aufkommenden InsurTechs in den nächsten Jahren der Untergang vorausgesagt, einige Gewinner sowie die starke Konkurrenz aus dem Ausland stellen den Markt trotzdem vor grundlegende Veränderungen. Was passiert mit den grossen Anbietern von heute? Wer nicht liefert, wird untergehen – so die Prognose. Für Versicherte und Versicherer gleichermassen eine äusserst spannende und turbulente Zeit.